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J E N S     W I E S N E R
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F R E I E R     J O U R N A L I S T   &  

F O T O G R A F

INFOSCHNIPSEL

Pharmaziestudenten: Die Zahl der Pharmaziestudierenden in Deutschland hält sich seit Jahren auf einem ungefähr gleichen Niveau von 12.000. Nach ihrem Abschluss arbeiten die allermeisten in öffentlichen Apotheken (48.002 von 57.832), etwa ein Drittel leitet eine eigene Apotheke. In einer Krankenhausapotheke arbeiten dagegen nur 1890 Approbierte, in anderen Bereichen (Industrie, Verwaltung, Fachorganisationen und Forschung) insgesamt 7940. Zahlen von 2009, Quelle: Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände

Preise für Medikamente auf Rezept: Der Preis für Medikamente, die man nur auf Rezept erhält, ist in allen Apotheken Deutschlands gleich hoch. Seit 2004 gilt: Auf den Einkaufspreis eines Medikaments addiert die Apotheke drei Prozent, einen Beratungszuschlag von 8,10 Euro sowie die Mehrwertsteuer. Ist der Kunde gesetzlich krankenversichert, muss der Apotheker allerdings 2,05 Euro seines Beratungsgeldes an die Krankenkasse weiterleiten. Zuvor galt eine ausschließlich prozentuale Beteiligung: Je mehr ein Medikament kostete, desto mehr landete auch in der Tasche des Apothekers.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 UNICUM

Mila mit Comicsprechblase in Schweineform

Bild: ©Jens Wiesner

Raab-Gewinner Schulze: Apotheker auf einen Schlag

Im Herbst 2009 verscherzte sich Hans-Martin Schulze (26) bei "Schlag den Raab" mit Prahlerei und Überehrgeiz die Symphatien des TV-Publikums. Der Pharmazie-Student gewann aber eine halbe Million Euro und hat sich von diesem Geld nun den Traum einer eigenen Apotheke erfüllt.

Wer zum ersten Mal durch die Glastür der Bahnhofsstraße 16 in Himmelpforten tritt, rümpft erst einmal die Nase: Es riecht nach Medizin, nach Apotheke. Weniger typisch als dieser Geruch ist der Mann hinter dem Tresen der Mühlenapotheke: Hans-Martin Schulze. Weißer Kittel, darüber eine sportliche Weste in knalligem Rot, auf der linken Brustseite das Apotheker-A. Der junge Mann wirkt anders als im Fernsehen - beherrschter, erwachsener, nicht nur wegen seiner Berufskleidung. Schulze ist derselbe Mensch, der in der Netzgemeinde als "Hass-Martin" verschrien ist. Der Stefan Raab eine halbe Million Euro abknöpfte, und sich im letzten Jahr halb Fernsehdeutschland zum Feind machte. Doch in Himmelpforten, einer 4900-Seelen-Gemeinde vor den Toren Hamburgs, spielt all das keine Rolle.

Seit einigen Wochen ist Schulze nun sein eigener Herr. Frisch gebackener Chef der Mühlenapotheke, der jüngeren der beiden Arzneiausgabestellen im Ort. Die Bedingungen für den Kauf waren ideal wie selten: Die Vorbesitzerin und Schulzes Vater, selbst Apotheker, kannten sich bereits seit langem. Als die Dame in den Ruhestand gehen wollte, hatte der Filius gerade sein Praktisches Jahr beendet. "Den Laden hätte ich auch ohne Raab übernommen", sagt der 26-Jährige und nimmt hinter seinem Schreibtisch Platz. Aber gut fühle es sich schon an, den Berufsstart völlig schuldenfrei anzugehen. Schulze versteht den Drang, sich schnellstmöglich selbstständig machen zu wollen. Trotzdem warnt er vor überstürztem Handeln. "Wer nicht durch seine Familie apothekenvorbelastet ist, sollte mindestens fünf Erfahrungsjahre als Angestellter sammeln." Außerdem dürfe man das nötige Kapital nicht unterschätzen. "250.000 Euro für eine vernünftige Neugründung müssen es schon sein."

Trotz aller Vorbereitung gibt Schulze zu, dass auch er im Arbeitsalltag immer wieder an seine Grenzen stößt: "Im Notfall frage ich dann bei meinen Angestellten nach", erklärt er. "Da darf man sich nicht zu stolz sein." Und die alteingesessenen Kunden verstehen, dass der Neue noch nicht alles wissen kann. In der Stadt, glaubt Schulze, wäre das so nicht möglich. "Auf dem Land sind die Kunden deutlich dankbarer. Hier respektiert man den Apotheker noch und vertraut ihm."

Doch auch auf dem Land bekommt die heile Apothekerwelt langsam Risse: Vorbei sind zumindest jene Zeiten, in denen die eigene Apotheke als "goldene Gans" oder "Gelddruckmaschine" galt. 1958 hatte das Bundesverfassungsgericht das lokale Apothekenmonopol gekippt. Zuvor durften sich approbierte Apotheker nicht in einem Gebiet niederlassen, in dem der Grundbedarf bereits durch eine bestehende Apotheke gedeckt war.

Der freie Markt erreicht die Pillendreher

Nicht minder einschneidend wirkten sich die Änderungen des Apothekengesetzes von 2004 aus: Seit diesem Jahr bestimmen Apotheker den Verkaufspreis rezeptfreier Medikamente selbst. Was auf den ersten Blick nach Freiheit klingt, war für die Apotheker eine bittere Pille, die es zu schlucken galt. Denn der Markt regelte sich tatsächlich und setzte die neuen Preise weit unterhalb der alten an. Während sich die Kunden über günstigeres Paracetamol freuten, sorgten sich die Apotheker: die einen um ihre hohe Gewinnspanne - andere, kleinere Apotheken ums Überleben.

Hans-Martin Schulze steht der zunehmende Liberalisierung der Apothekenlandschaft eher skeptisch gegenüber: "Medikamente sind nun mal kein beliebiges Verkaufsgut wie Fernseher oder Stereoanlagen." Eine ausführliche Beratung könne im besten Falle lebensrettend wirken. Doch eben diese Beratung zählt immer weniger im täglichen Kampf um den Kunden. "Mittlerweile locken viele Apotheken mit günstigen Angeboten für rezeptfreie Präparate und hoffen darauf, dass ihre Kunden mit lukrativen Rezepten zurück kommen." Schulze selbst möchte lieber durch guten Service und Zusatzangebote glänzen.

Aus dem Weg gehen würde der junge Chef einem Preiskampf allerdings nicht: "Sollte sich ein dritter Apotheker hier niederlassen wollen, würde ich erst einmal alle Preise kräftig senken. Soll der Kerl mal sehen, wie er seine Füße dann auf den Boden bekommt." Und für einen kurzen Augenblick blickt doch noch ein wenig Raab-Martin durch. Dieser besondere Ehrgeiz, für sein Ziel notfalls auch mit harten Bandagen zu kämpfen. Im Fernsehen mag das arrogant erscheinen. Für einen Chef, der den Fortbestand seines Betriebs sichern muss, ist dieser Charakterzug wohl überlebenswichtig.

Erschienen in: Unicum März 2011, Artikel hier im Originallayout lesen