GLAUBE & ZWEIFEL
Bild: ©Jens Wiesner
"Titanic"-Redakteure ketten sich an Hamburger Michel
Als Protest gegen das Verbot ihres umstrittenen Papsttitels vom Juli haben sich Mitarbeiter der Satirezeitschrift "Titanic" am Donnerstagnachmittag an den Hamburger Michel gekettet. Mit der Aktion vor dem evangelischen Gotteshaus wolle man sich mit einer anderen papstkritischen Bewegung solidarisieren. Und dann überschlugen sich die Ereignisse.
Der Michel ist eine der größten Kirchen Hamburgs, ein Wahrzeichen der Hansestadt: 132 Meter hoch ragt der kupferne Turm in den Himmel, über dem Hauptportal wacht Erzengel Michael, zu seinen Füßen der besiegte Teufel. Ein starkes Symbol - so dachten die Macher des Satiremagazins "Titanic" – und wählten den Ort zum Schauplatz, um gegen das Verbot ihres umstrittenen Papsttitels zu demonstrieren. Man wolle sich an die Kirche ketten – "solange, bis man uns wegträgt", hatte Chefredakteur Leo Fischer im Vorfeld erklärt.
Kleiner Haken: St. Michaelis ist eine evangelische Gemeinde – und wie gemeinhin bekannt war Martin Luther nun wirklich kein großer Fan des Oberhirten aus Rom. Für Fischer, der im roten Bischofsgewand erschienen war, kein Widerspruch: "Der Protestantismus ist ohne Papstkritik nicht zu denken", erklärte der "Titanic"-Chef. Luther habe den Papst mit Beleidigungen überzogen, die die Satiriker niemals drucken würden, ihn gar als "Teufels Sau" bezeichnet. "Das ist wirklich menschenverachtend. Aber wir wollen uns mit einer anderen papstkritischen Bewegung solidarisieren."
"Titanic"-Chefredakteur Leo Fischer kommentiert die Wahl des Protestortes
Fesseln im Namen der Pressefreiheit
In der Gemeinde selbst sah man die Aktion daher auch eher amüsiert, wie die Sprecherin von St. Michaelis bereits am Morgen erklärte: "Offiziell sagen wir nichts dazu. Wir sind einfach der falsche Ansprechpartner. Das ist eine Sache zwischen der Titanic und der katholischen Kirche." Aber natürlich sei der Platz vor dem Michel öffentlicher Raum, auf dem jeder erst einmal machen könne, was er wolle - solange der normale Gemeindebetrieb durch die Aktion nicht gestört werde.
Wurde er nicht – und der Einsatz von Schneidbrennern, auf den so manch Schaulustiger wohl gehofft hatte, blieb aus. Nach wenigen Minuten waren die Fotos für die angereisten Journalisten im Kasten und die sieben "Titanic"-Mitarbeiter lösten die Fesseln freiwillig. Was von der Aktion blieb: Viele Schmunzler während der anschließenden Lesung aus erbosten Leserbriefen - und eine nachdenkliche Frage aus dem Publikum: Ob sich die Redaktion so ein provozierendes Titelbild denn auch beim Islam getraut hätte? Fischers Antwort ironisch-ausweichend: "Wir sind felsenfeste Katholiken. Wir nässen uns regelmäßig ein, wenn eine Burka in die Nähe der Redaktion kommt."
Mark-Stefan Tietze, Redakteur "Titanic", zitiert aus einem Leserbrief
Eine befleckte Soutane sorgt für Wirbel
Streitpunkt zwischen Papst Benedikt und der "Titanic" ist die Umschlaggestaltung der Juli-Ausgabe: Darauf wird der Pontifex in Vorder- und Rückansicht mit gelben und braunen Flecken an entscheidenden Stellen auf der Soutane abgebildet. In Anspielung auf den "Vatileaks"-Skandal prangt darunter die Schlagzeile: "Halleluja im Vatikan: Die undichte Stelle ist gefunden." Das katholische Kirchenoberhaupt sieht sich durch die Darstellung in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt und hat Mitte Juli vor dem Hamburger Landgericht eine einstweilige Verfügung erwirkt. Seitdem durfte der Titel in seiner ursprünglichen Form nicht mehr verkauft werden. Die "Titanic" hatte Widerspruch eingelegt und sich auf das Grundrecht der Kunstfreiheit berufen.
Am Freitag sollte eigentlich der Berufungsprozess am Hamburger Landgericht beginnen. Doch noch während die "Titanic"-Mitarbeiter zusammen packten, erreichte sie die Meldung aus dem Vatikan: Benedikt XVI. hat seine Klage gegen das Satiremagazin zurückgezogen. Mit der Rücknahme der einstweiligen Verfügung darf das Heft mit seinem ursprünglichen Cover nun wieder vertrieben werden. Chefredakteur Fischer zeigte sich in einer ersten Stellungnahme laut KNA nicht überrascht, dass "der Papst einknickt": "Wir sehen uns in einer Tradition mit Giordano Bruno, Galileo Galilei und Margot Käßmann, die alle im Nachhinein Recht bekommen haben. Ob das 500 Jahre oder fünf Monate gedauert hat, ist vor der Ewigkeit ohne Bedeutung." Die "Titanic"-Redaktion wolle nun am Freitag vor dem Gebäude des Hamburger Landgerichts die Restauflage der umstrittenen Ausgabe kostenlos verteilen.