Tintenklexx-Logo


J E N S     W I E S N E R
_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _

F R E I E R     J O U R N A L I S T   &  

P H O T O G R A F

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 YAEZ

 

Mila mit Comicsprechblase in Schweineform

Bild: ©Jens Wiesner

Judentum und Islam: Essen nach Vorschrift

Mila und Sema sind sich einig: Ein Schweineschnitzel kommt den beiden Mädchen nicht auf den Tisch. Schließlich müssen sich Juden wie Muslime an bestimmte Speisevorschriften halten - und die regeln nicht nur, was gegessen werden darf, sondern auch, wie es richtig zubereitet wird.

In der Küche von Milas Eltern gibt es alles doppelt: zwei Backöfen, zwei Kühlschränke und sogar zwei Spülbecken. Kein Wunder, Milas Vater ist Rabbiner und als Oberhaupt der jüdischen Gemeinde von Osnabrück geht Rabbi Großberg mit gutem Beispiel voran, wenn es um die strengen Speisevorschriften seiner Religion geht. Seine 14-jährige Tochter hält es genauso und findet nicht, dass sie damit auf etwas Besonderes verzichtet. Aber warum eigentlich die doppelte Küche?

Alles beruhe auf einem Satz, der in der Tora, dem heiligen Buch der Juden, gleich dreimal vorkommt: "Du sollst das Zicklein nicht in der Milch der Mutter kochen", erklärt Mila. Jüdische Rabbiner interpretieren diese Anweisung weitaus schärfer: als ein striktes Verbot, Fleisch und Milch gleichzeitig zu verspeisen. "Bevor man wieder etwas Milchiges essen darf, muss erst das Fleisch im Magen verdaut sein." Manche Juden warten drei Stunden, in der orthodoxen Tradition, der Milas Familie folgt, sind es sogar sechs. Um nicht andauernd rechnen zu müssen, folgt die aufgeweckte Rabbinertochter ihrer ganz persönlichen Regel: „Wenn ich Fleisch esse, dann meistens abends, bevor ich ins Bett gehe."

Sema Cemtosun kennt diese strikte Trennung von Milch und Fleisch nicht. Überhaupt ist die 21-jährige Studentin ungeheuer froh, dass die Speisevorschriften im Islam weniger kompliziert sind als im Judentum. Grundsätzlich ist Muslimen alles erlaubt (halal), was ihrem Körper nicht schadet. Aus diesem Grund gilt auch ein striktes Alkoholverbot im Islam. Hinzu kommen einige Zusatzregeln, wie das Verbot von Schweinefleisch, Blut und Tierkadavern. Auch wenn Sema die Speisevorschriften ihrer Religion eher locker sieht, zieht die junge Türkin doch eine klare Grenze: „Schweinefleisch esse ich auf keinen Fall." Alkohol habe sie allerdings schon einige Male probiert. "Wirklich geschmeckt hat es mir aber nicht", erinnert sich Sema. Und das schlechte Gewissen danach habe es nicht besser gemacht.

Beim Käse wird's kompliziert

Juden hingegen dürfen Alkohol trinken, aber nur, wenn er koscher ist. Welche Speisen koscher, also erlaubt, sind, verrät der Blick in die Tora. Gemüse und Obst stellen kein Problem dar, nur bei Tieren und tierischen Produkten wird die Geschichte kompliziert: Meeresbewohner, die keine Flossen und Schuppen besitzen, sind "treife", also verboten. Außerdem dürfen nur Landtiere, deren Hufe gespalten sind und die zudem wiederkäuen, im Magen landen. Das Schwein hat also auch im Judentum einen schweren Stand. Richtig kompliziert wird es dagegen beim Käse. "Um Käse herzustellen braucht man einen Stoff namens Lab", erläutert Mila. Da Lab allerdings aus dem Magen junger Kälber gewonnen wird, verstoßen viele Käsesorten gegen die Trennung von Milch und Fleisch. Und selbst das Fleisch von erlaubten Tieren darf nur dann auf den Teller, wenn kein Tropfen Blut mehr darin vorhanden ist. In diesem Punkt sind sich Islam und Judentum wieder einig.

In beiden Religionen müssen die Tiere zuvor geschächtet, also auf eine besondere Weise geschlachtet werden. Dabei werden in einem Zug Halsschlagader, Luft- und Speiseröhre des unbetäubten Tieres durchschnitten. Geschächtetes Fleisch in Deutschland zu bekommen, ist nicht ganz einfach: Zwar können jüdische Metzger eine Ausnahmegenehmigung erhalten, grundsätzlich ist das Schächten jedoch aus Tierschutzgründen verboten. Milas Familie lässt sich ihr Fleisch daher gleich aus Belgien liefern, wo kein derartiges Verbot herrscht. Und wenn Mila im Supermarkt einkaufen geht, hilft die "Koscher-Liste", ein Handbuch, das alle wichtigen Nahrungsmittel vermerkt, die in Deutschland verkauft werden.

Doch ganz egal ob halal oder koscher – weder Mila noch Sema stört es, dass sie beim Essen und Trinken etwas genauer hinschauen müssen. "Meine Freunde haben sich daran gewöhnt, dass ich nicht alles essen darf", erklärt Sema. Mila sieht es genauso: Nur, wenn sie ihren Koffer auf Klassenfahrt mit koscherem Proviant vollstopfen muss, werden die Speisevorschriften dann doch ein wenig lästig.

Erschienen auf: YAEZ.de am 27. Oktober 2010