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J E N S     W I E S N E R
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F R E I E R     J O U R N A L I S T   &  

F O T O G R A F I S C H E     A R B E I T E N

MEHR VOM GEISTESGRÖSSEN-BASHING

Für die Unicum habe ich Studierende, Absolventen und Dozenten gebeten, der "Geistesgröße" ihres Faches einmal ordentlich die Meinung zu geigen.

So haben Goethe, Schrödingers Katze, Indiana Jones, Adorno und Blanchard alle ihr Fett weg bekommen (hier nachzulesen).

Doch nicht alle haben es ins Heft geschafft. Diese möchte ich in den kommenden Wochen auf meiner Seite vorstellen.

LINKS ZUM THEMA

Geschichtsort Villa ten Hompel, Münster

Zur Arbeit der NS-Gedenkstätten in Deutschland: www.ns-gedenkstaetten.de

International eignet sich u.a. das Infoportal "Holocaust Memorials":
www.gedenkstaetten-uebersicht.de

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 UNICUM

   

©Gloria Benning

Geistesgrößen-Bashing: "Mein Kampf" gegen Hitler

Stefan Querl, stellvertretender Leiter des Geschichtsorts Villa ten Hompel, NS-Erinnerungsstätte in Münster, basht: Adolf Hitler

Mein Kampf. Gegen Hitler. Tag für Tag führe ich ihn in der Erinnerungsstätte Villa ten Hompel in Münster, in der ich arbeite. Eine Ungeistgröße ist er nämlich, der hässliche Gefreite aus dem Ersten Weltkrieg, der fast Schicklgruber geheißen hätte. Ein ekelhaft Untoter. Das Gift seiner lebenden Leiche hat sich tief in unsere Gesellschaft gefressen, indem er bis heute eine Faszination ausübt, die zutiefst fragwürdig ist.

War er Dämon? War er heimlich schwul oder mit Juden verwandt? Schluss damit! Mein geschichtliches Gesprächsguthaben zu solch bekloppten Fragen und zu Verschwörungstheorien ist aufgebraucht. Hitler, halt’s Maul! Anders als bei der Arbeit drohe ich hier unsachlich zu werden, denn er und seine Mythen scheinen irgendwie nie zu sterben.

Es wäre ein Endsieg für Toleranz und mehr Demokratie, sich nicht mehr so intensiv ihm zu widmen, sondern wirklich alle Opfer und die verschiedenen Verfolgten in der Nazi-Diktatur angemessen zu würdigen.

Hafenpanorama

©Gloria Benning

Nachwort

Wohlgemerkt plädiere ich nicht dafür, das Thema Diktatur zu den Akten zu legen. Mitnichten. Es ist mir nur absolut unbegreiflich, wieso junge Menschen allen Ernstes heute noch nach einer Auschwitz-Fahrt erklären, dieser Mann habe ja "im Grunde was Gutes für Deutschland gewollt", habe "nicht alles falsch gemacht" oder nur "das mit den Juden ein bisschen übertrieben". Oder die älteren Leute, die bei historischen Stadtrundgängen plötzlich glänzende Augen kriegen, wenn sie sich daran erinnern, Hitler sogar einmal leibhaftig gesehen zu haben.

Ein Herr schimpfte neulich, von Gedenkstätten-Mitarbeitern wie mir werde Deutschlands Jugend "noch immer Schuld eingeimpft". Vom Hakenkreuz schwenkte er blitzschnell zum Mutterkreuz und zu den Autobahnen, die Hitler ja gebaut habe (was auch verdrehter Unfug ist). "Wird man wohl noch sagen dürfen", redete er sich weiter in Rage. Klar darf er das. Aber es wird dadurch weder besser noch klüger noch wahrhaftig.

"Warum sich aufregen? Das Problem regelt sich mit der Zeit", mag mancher jetzt vielleicht beim Lesen bitter-ironisch denken oder mir vorhalten: "Unverbesserliche Spinner gibt’s doch immer!" Mag sein. Doch Halt, Stopp: Das Gefährliche an dem ollen Gift aus Braunau, Wien, München und Berlin ist, dass es wie eine Droge die Sinne und die eigentlich wichtigen Fragen an die Vergangenheit vernebelt: Wieso waren so viele bereit, diesem "Führer" entgegen zu arbeiten, sich verführen zu lassen, die eigenen Freunde, Verwandten, Nachbarn zu verraten oder sich gar exzessiv der Gewalt hinzugeben? Man denke nur an den Staatsterror im Dritten Reich oder an die Verbrechen im besetzten Osteuropa, die auf das Konto Tausender gehen.

Warum lügen wir Nachgeborenen uns heute noch einen in die Tasche, indem wir auf unsere Vorfahren blicken und fast wie die Chirurgen Schnitte setzen zwischen "den Nazis" und "den Deutschen"? Logisch, nicht jeder im Land war ein Mörder. Aber Begeisterung, Propaganda, Selbstbetrug, Schweigen im Alltag, Aufrüstung, Krieg, Eroberungslust, Verfolgung und Ausrottung waren widerlich vermengt und zu einer braunen Brühe aufgekocht worden zwischen 1933 und 1945. Im Denken vieler Zeitgenossen sogar darüber hinaus.

Ich finde, es ist höchste Zeit, dem seitengescheitelten Suppenkasper seine Totenruhe zu lassen und sich seinem Rezept aus der Giftküche zu widmen, rechtsextreme Köche kochen es erschreckend erfolgreich nach. Lass uns mal selbstkritisch die vielen fiesen Ursachen von Fremdenhass, von Menschenverachtung, Sündenbock-Denken und Sozialneid angucken. Warum ist es, wie Albert Einstein mal sagte, leichter Atome zu zertrümmern als ein Vorurteil? Damals wie heute. Und dann sollten wir endlich nicht länger über Addi reden. Sondern über Artikel 1 im Grundgesetz!