KOMMENTAR
©Jens Wiesner
Tanzverbot am Karfreitag: Let's Dance!
Das öffentliche Musik- und Tanzverbot am Karfreitag und anderen Feiertagen ist anachronistisch und gehört abgeschafft. Wann und wo ich das Tanzbein schwinge, ist Privatsache. Soviel Freiheit muss eine Religion aushalten können.
Wie gerne regen wir uns über islamisch geprägte Länder auf, in denen religiöse Bestimmungen und staatliches Recht untrennbar miteinander verbunden sind. Was wir schnell vergessen: Auch unser eigenes Recht treibt bisweilen seltsame Blüten, die einzig und allein auf überkommenen Moralvorstellungen fußen. Eine davon: das öffentliche Tanz- und Musikverbot an Karfreitag und anderen christlichen Feiertagen
Gesetzlich verankert ist diese Zwangsregelung in den Feiertagsgesetzen der Länder unter Berufung auf das Grundgesetz (Artikel 140 GG in Verbindung mit Artikel 139 der Weimarer Reichsverfassung). „Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.“ sagt Art. 139 WRV. Explizit von Tanz oder Musik ist im Grundgesetz selbst also keine Rede.
Werte ändern sich
Aber: Wer am Karfreitag das Tanzbein schwingt, so die Befürworter dieser Regelung, trampele auf dem Gedenken Jesu Christi herum und beleidige die christliche Religion. Einen "höchst intoleranten Akt“ nannte der evangelische oberhessische Propst Matthias Schmidt noch in der vergangenen Woche den Versuch der Piratenpartei, eine Demonstration „Tanzen gegen das Tanzverbot“ am Karfreitag zu initiieren. Mittlerweile ist die Veranstaltung verboten und musste abgesagt werden.
Welch grundsätzlich feindselige Einstellung zu Tanz und Musik offenbart diese Argumentation: Wer tanzt und musiziert stört also per se, verhält sich dem gravitätischen Anlass des Tages nicht angemessen. Ich habe große Probleme damit, wenn ein Staat beginnt, moralische Werte per Gesetz zu kodifizieren: § 175 des deutschen Strafgesetzbuches stellte bis in die 1970er Jahre hinein homosexuelle Handlungen unter Strafe, nach mehreren Lockerungen wurde der Paragraph erst 1994 ersatzlos gestrichen. Im Vergleich zu der Schwere dieser Regelung ist der Eingriff durch das Tanzverbot sicherlich marginal. Aber der Umgang mit § 175 StGB zeigt: Werte und Traditionen ändern sich und müssen mit fortschreitender Zeit neu bewertet werden. Der Staat verdonnert uns auch nicht, jeden Freitag auf Fleisch zu verzichten, nur weil der katholische Katechismus dazu aufruft. Und ob 40 Tage vor Ostern gefastet wird oder nicht, ist Sache jedes Einzelnen.
Verordnete Toleranz
An Karfreitag ist das anders: An diesem Tag dürfen sich 80 Millionen Bundesbürger per Gesetz nicht öffentlich bei Musik und Tanz amüsieren. Damit wird einem Drittel aller Deutschen, den Konfessionslosen, eine Trauer verordnet, die sie nicht fühlen. Klar ließe sich einwenden, an den paar Tage im Jahr, an denen das Tanzverbot gilt, könnten sich die Heiden einmal zusammenreißen. Auch ich muss nicht jeden Tag die Sau raus lassen und hätte wohl keine großen Probleme damit, den Karfreitagabend gemütlich mit einer Staffelbox „How I met your Mother“ zu verbringen.
Das Problem: Mir wird keine Wahl gelassen: „An stillen Feiertagen ist auf die Empfindungen der Bevölkerung besondere Rücksicht zu nehmen“, legt z.B. das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport das Feiertagsgesetz des Landes aus. „Veranstaltungen wie Tanzveranstaltungen, Volks- und ähnliche Feste können so gelegt werden, dass sie nicht auf stille Feiertage fallen.“
Doch welchen Wert hat Toleranz, die von oben verordnet wird? Als gläubiger Christ hätte ich lieber eine einzige Person, die aus echtem Respekt vor meinen religiösen Gefühlen freiwillig auf Musik, Tanz und Feiern verzichtet als Hunderte, die grummelnd den Stecker aus ihren Anlagen ziehen und meine Religion als Spiel- und Spaßverderber brandmarken.
Stimmen Sie mit dem Autor überein oder regt er sich völlig zu Unrecht auf? Jetzt ist Ihre Meinung zum Tanzverbot gefragt: