GLAUBE & ZWEIFEL
©1808, Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung (DIPF)
Kath. Missionsbewegung: Mit gutem Vorsatz in die Hölle
Zwangstaufen, Rassismus und kulturelle Überlegenheitsgefühle, sogar Mord. Bis heute lasten die Verfehlungen der Vergangenheit schwer auf dem Ruf der katholischen Missionsbewegung.Ein kritischer Blick zurück.
Schwester Celiana ist ein gern gesehener Gast im Altenheim von Wan-Li auf Taiwan. Die Missionsschwester der Diener des Heiligen Geistes kommt regelmäßig her, singt und betet mit den Bewohnern, die nur noch selten Familienbesuch erhalten. Dass die meisten von ihnen Buddhisten sind, stört die Belmerin, die bereits seit über 50 Jahren auf der Insel lebt, nicht. Trotzdem erzählt sie den Menschen von Jesus, Nächstenliebe oder den Zehn Geboten. Und hört zu, wenn die Menschen von Buddha und ihren eigenen religiösen Erfahrungen berichten. Nicht durch Zwang, sondern durch ihr lebendiges Beispiel möchte die Missionarin zeigen, was es heißt, Christ zu sein. Eine hohe Taufzahl erreicht sie auf diese Weise nicht. Dafür freut es sie umso mehr, wenn sich jemand auf freiwilliger Basis für ein christliches Leben entscheidet. So sieht der Idealfall katholischer Auslandsmission heute aus. Jahrhundertelang war es völlig anders.
„Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen! Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden.“ Mit diesen Worten, so berichtet es der Evangelist Markus, habe der auferstandene Jesus seinen Jüngern aufgetragen, die Welt zum Christentum zu bekehren. Ein Auftrag, in dessen Namen katholische Missionare bis heute Zeugnis von ihrem Gott geben. Allerdings auch ein Auftrag, dessen kompromisslose Interpretation und gewaltsame Umsetzung fatale Folgen für die einheimische Bevölkerung der Länder mit sich brachte, die von diesen Missionaren besucht wurden.
Kinder kaufen, um zu taufen
„Die christliche Mission bediente sich über lange Zeit brutaler und menschenverachtender Methoden, die aus heutiger Sicht völlig inakzeptabel sind.“ Dieter Tewes, Diözesanreferent für Missionarische Dienste im Seelsorgeamt Osnabrück, nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn er auf die zweifelhaften Praktiken der christlichen Mission im Kolonialzeitalter zu sprechen kommt. „Für den Großteil der Missionare war die Begegnung mit den einheimischen Kulturen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas eine absolute Schockerfahrung: Ganze Kontinente voller ungetaufter Heiden, deren Seelenheil in Gefahr war.“ Als Ungetaufter landete man nach damalig vorherrschender Lehrmeinung schnurstracks in der Hölle. Aus diesem Grund galt es für die Missionare, möglichst viele Menschen zu bekehren, notfalls auch gegen deren Willen. Schließlich geschah es zu ihrem eigenen Besten, so dachte man zumindest.
So wurde dort, wo die „Frohe Botschaft“ kein freudiges Echo fand, oft gewaltsam, manchmal sogar mit dem Schwert, nachgeholfen. Ganze Dörfer und Stämme wurden auf einen Schlag christlich, indem Missionare das Dorfoberhaupt tauften und die Untertanen der neuen Religion ihres Herrschers folgten. Als die Missionierung auf der Südseeinsel Papua-Neuguinea ins Stocken geriet, kauften katholische Missionare sogar Kinder von den Eingeborenen los, um sie in so genannten „Christendörfern“, fernab vom angeblich schädlichen Einfluss ihrer eigenen Kultur, zu erziehen.
Rassistischer Zeitgeist
Nichtsdestotrotz warnt Dieter Tewes davor, dieses Verhalten vorschnell nach heutigen Wertmaßstäben zu beurteilen: „Jene Missionare wuchsen in einem gesellschaftlichen Umfeld auf, in dem die katholische Kirche für sich beanspruchte, die einzig wahre und allgemein gültige Wahrheit zu kennen.“ Dieses Gefühl der kulturellen Überlegenheit des christlichen Abendlandes und seiner Religion deckte sich voll und ganz mit dem rassistischen Zeitgeist jener Tage. Zwangsläufig reiste es auch im Gepäck der europäischen Missionare mit, die eng mit den politischen Kräften des Kolonialismus zusammen arbeiteten. „Erst ein Missionar, dann ein Konsul, und dann kommt die Armee“, so fasste es in den 1870er Jahren der Zulu-Häuptling Ceteswayo zusammen. Wie tief verwurzelt der Rassismus saß, lässt sich am Wortlaut einer überlieferten Taufformel aus Peru erkennen: „Ich taufe dich unter der Voraussetzung, dass du tatsächlich ein Mensch bist.“ Auch in Missionskreisen war man sich einfach nicht sicher, ob es sich bei den Eingeborenen nun um Menschen oder doch nur um Tiere handelte.
Dennoch gab es bemerkenswerte Ausnahmen: "Der missionarische Mainstream war sicherlich brutal, aber innerhalb dieser Strömung gab es durchaus Gegenbewegungen, die zu dem geführt haben, was wir heute Völkerrecht nennen", sagt Dr. Arnd Bünker, Assistent am Institut für Missionswissenschaft in Münster. Menschen wie der Dominikaner Bartolomé de Las Casas oder Charles Lavigerie, Gründer der Afrikamissionare, erkannten viel früher als ihre weltlichen und kirchlichen Zeitgenossen, dass sich eine Religion nicht mit Gewalt aufzwingen lässt, und setzten sich vehement für die Rechte der indianischen Bevölkerung Lateinamerikas und Afrikas ein.
Wendepunkt Zweites Vatikanisches Konzil
Bis sich eine solche Erkenntnis auch in breiteren gesellschaftlichen und religiösen Kreisen durchsetzten sollte, verstrich allerdings noch viel Zeit: Noch bis Mitte der 1960er Jahre hielten nicht wenige Stimmen innerhalb der katholischen Kirche den Einsatz von Zwang durch die göttliche Ermächtigung im Missionsbefehl gedeckt. Erst mit den Entscheidungen des Zweiten Vatikanischen Konzils sollte sich die offizielle Kirchenpolitik maßgeblich wandeln. "Die Konservativen mochten nicht zustimmen, dass das Recht des Menschen, seine geistige und körperliche Unversehrtheit, über dem Recht der Kirche zur Mission, als Durchsetzung eines Mandates und Auftrags Gottes, stehen könnte. Die Erklärung über die Religionsfreiheit war vor diesem Hintergrund eine der am längsten umstrittenen Aussagen des Konzils", erklärt Bünker. Seitdem gilt als offizielle Lehrmeinung, dass der Mensch auch außerhalb der Kirche den Weg zum Heil finden könne. Ebenso rückte man von der Vorstellung ab, als Kirche im Besitz einer absoluten und ewig gültigen Wahrheit zu sein. Für die katholische Mission wurde das Konzil zu einem einschneidenden Wendepunkt.
„Mission bedeutete plötzlich nicht mehr, auf Biegen und Brechen taufen zu müssen“, sagt Tewes, „Das neue Ziel war keine voll missionierte katholische Welt, sondern ein respektvolles Nebeneinander auf der gemeinsamen Suche zu Gott.“ Damit nahm das Konzil den Auslandsmissionaren eine schwere Last von ihren Schultern. Viele hatten bereits im langjährigen Kontakt mit den Menschen vor Ort gespürt, dass eine Verbreitung der christlichen Ideen auf die bislang praktizierte Weise nicht funktionieren konnte. „Der Schock über die Gewalttätigkeit der modernen westlichen Kultur, wie sie spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg und vor dem Hintergrund totalitärer Systeme, unübersehbar war, hat das Überlegenheitsdenken gegenüber anderen Kulturen sehr verändert. Respekt und Demut gegenüber anderen Kulturen und Religionen begannen, mehr Raum zu bekommen“, so Arnd Bünker. Auch die Vorstellung, der christliche Glaube müsse im europäischen Gewand daher kommen, habe sich gewandelt: „Wenn ein lateinamerikanischer Favelabewohner das Evangelium liest, wird er es anders interpretieren als ein deutscher Mittelklassebürger“, verdeutlicht Bünker.
Der Weg zurück
Ebenfalls dämmerte es den Missionaren, dass die angeblich gottlosen Heiden in ihrer eigenen Religion längst Erfahrungen mit Gott gemacht hatten. „Gott war schon da, bevor wir angekommen sind“, fasst Schwester Rosa, Missionsprokuratorin der Schwestern vom heiligen Namen Mariens im Kloster Nette, diese Erkenntnis zusammen. „Wir Missionare haben selbst eine Menge über Gott erfahren, indem wir anderen zugehört und von ihnen gelernt haben.“ Moderne Missionare ermutigen daher, ursprüngliche Traditionen wertzuschätzen und zu pflegen. Pfarrer Ulrich Timpte, der 1987 eine Pfarrgemeinde im argentinischen Bistum Quilmes gründete und bis zu seiner Pensionierung 2003 leitete, erinnert sich: "Orgeln gibt es in den dortigen Kirchen natürlich nicht. Der Gesang wird von Bongo-Trommeln und Gitarren begleitet. Das ist viel spontaner und fröhlicher - nicht so förmlich und steif wie bei uns in Deutschland."
Trotzdem war und ist die Tatsache, dass Mission keine Einbahnstraße von Europa in die Entwicklungsländer mehr sein will, bis heute nur schwer für viele europäische Christen zu akzeptieren.„Auch Europa ist zum Missionsland geworden“, stellt Schwester Rosa, die vor elf Jahren aus Brasilien ins Kloster Nette kam, fest. Längst ist es in Deutschland nicht mehr selbstverständlich, Christ zu sein. Die Entwicklung zu einer Weltkirche, welche ihren Schwerpunkt in Regionen verlagert, die früher abschätzig „Dritte Welt“ genannt wurden, sorgt dafür, dass mittlerweile auch viele ausländische Priester und Ordensleute in Deutschland arbeiten. „Europa hat so viele Missionare nach Lateinamerika geschickt. Was damals gegeben wurde, kommt jetzt doppelt zurück“, sagt Schwester Rosa. „Dabei haben wir europäischen Missionare es sicherlich leichter akzeptiert zu werden als unsere ausländischen Brüder und Schwestern, die nun in Deutschland sind“, merkt die Thuiner Schwester Cordula, eine Franziskanerin, die von 1988 bis 2004 in einem Krankenhaus in Tansania arbeitete, an. Timpte frustriert diese Haltung: "Wir könnten so viel lernen von Kirche in der ‚Dritten Welt‘, aber die Bereitschaft ist hier total unterentwickelt. Wenn ausländische Priester nach Deutschland kommen, werden sie immer noch unterbewusst als Menschen zweiter Klasse betrachtet.“
Im Kampf mit dem schlechten Image
Neben diesen Problemen hat die katholische Mission außerhalb der kirchlichen Strukturen mit ihrem schlechten Image aus Kolonialzeiten zu kämpfen hat. Das Thema Mission und Kirche sei in der breiten Bevölkerung noch immer schwierig, weiß Thilo Esser, Diözesandirektor der Päpstlichen Missionswerke im Bistum Essen. Der Begriff löse bei vielen die Vorstellung aus, einem Menschen durch Zwang einen fremden Glauben überzustülpen, eine Art ‚religiösen Hausfriedensbruch‘ zu begehen. Dieter Tewes frustriert es manchmal, dass dieses Selbstverständnis selbst nach 40 Jahren nicht in der breiten Gesellschaft angekommen ist. Was nichts daran ändert, dass er Verständnis für solche Stimmen aufbringen kann: ‘Missionierung‘ sei noch immer ein durch die Geschichte sehr belasteter Begriff. Hinzu komme, dass in fundamentalistischen evangelikalen Kreisen, die sich nicht an die Konzilsbestimmungen gebunden fühlen, Mission weiterhin in einer Weise betrieben wird, die längst nicht mehr dem Verständnis der großen christlichen Kirchen entspricht.
Diese Probleme allein dadurch zu lösen, den Begriff ‚Mission‘ durch einen neutraleren Ausdruck zu ersetzen, hält Tewes jedoch für den falschen Weg: „In der Bibel wird ausdrücklich auf den Begriff ‚missio‘, auf die Sendung aller Christen durch Jesus, Bezug genommen. Das können wir nicht einfach umschreiben.“ Die einzige Möglichkeit, dieses öffentliche Negativbild nachhaltig zu ändern, sieht er darin, sich als Kirche offen zu den Fehlern der Vergangenheit zu bekennen. „Wir sind mittlerweile dabei, die Gräueltaten, die im Namen der Mission begangen wurden, aufzuarbeiten.“ Die große Vergebungsbitte des Papstes Johannes Paul II im Jahr 2000 und die selbstkritische Vergangenheitsbewältigung der Orden, vor allem durch die Franziskaner und die Dominikaner, bewertet er als gute erste Schritte auf diesem Weg. Die beste Werbung bestehe jedoch darin, dass Missionare wie die Schwestern Celiana, Rosa oder Cordula durch ihre Arbeit und ihre christliche Lebensführung zeigen, wofür der Missionar von heute steht: als Christ ein positives Vorbild für andere zu sein.
Dieser Text ist eine 2012 aktualisierte und erweiterte Fassung meines Textes, der am 7. Juni 2009 im Kirchenboten des Bistums Osnabrück erschienen ist (hier nachzulesen).