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J E N S     W I E S N E R
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F R E I E R     J O U R N A L I S T   &  

P H O T O G R A F

HINTER DEN KULISSEN

Ein Mann in Georgsmarienhütte hat die Bibel ins Osnabrücker Platt übersetzt. So mein Infostand, als ich vor sechs Jahren bei Johannes Harwerth an der Haustür klingelte.

Und dann stand mir plötzlich ein Konrad-Adenauer-Lookalike gegegenüber, der mir erklärte, dass er seine Übersetzungen nur für den Eigengebrauch schreibe und stets am Tag nach der Messe in den Mülleimer werfe.

Eine Bibel im Ossenbrügger Platt konnte er mir daher nicht vorzeigen - eine Mengte zu erzählen gab's trotzdem!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 KIRCHENBOTE

Johannes Harwerth

Bild: ©Jens Wiesner

Da biste platt!

Weil es einfach lustiger klingt, übersetzt Johannes Harwerth seit zwanzig Jahren Bibeltexte ins Osnabrücker Platt. Käuflich erwerben lassen sich die derben Werke des 84-jährigen GM-Hütters jedoch nicht: Nach jedem Gottesdienst wandern die Übersetzungen in die Papiertonne.

Ein ganz normaler Dienstagabend in Georgsmarienhütte: Die meisten Einwohner der Stadt verlassen gerade mit gefülltem Magen den Esstisch und wenden sich dem Erholung versprechenden Fernsehsessel zu. Günther Jauch lädt spitzbübisch zum Millionengewinn ein, in der ARD beendet Jörg Kachelmann seine Wettervorhersage. Etwas ungewöhnlicher geht es dagegen in einem kleinen Haus an der Berliner Straße zu.

Johannes Harwerth sitzt konzentriert an seinem Schreibtisch, den Kopf über eine Ausgabe des Neuen Testaments gebeugt. Die Apostelgeschichte liegt aufgeschlagen, Kapitel 15, Vers 1-6. Gelegentlich hebt sich Harwerths Kopf, die Denkerfalten auf seiner Stirn entspannen sich und ein verschmitztes Grinsen erscheint auf seinen Gesichtszügen. Dann spannt der ehemalige Lehrer einen Bogen DinA4-Papier in seine mechanische Schreibmaschine und beginnt – Buchstabe für Buchstabe – den hochdeutschen Lesungstext in Osnabrücker Platt zu übersetzen. – Johannes Harwerth bereitet sich auf den morgigen Gottesdienst vor.

"Es ist eine ganz hervorragende Sache, Lesung und Evangelium vorab gesehen zu haben", erklärt der Rentner, der seit seiner Pensionierung vor zwanzig Jahren ein täglicher Gast im Gottesdienst der Herz-Jesu-Gemeinde geworden ist. Wichtigster Teil seiner Vorbereitung ist dabei die Übersetzung ins Plattdeutsche. "Die Plattdeutsche Sprache besitzt so viele schöne Ausdrücke, die man auf Hochdeutsch nie gebrauchen würde", erklärt Harwerth, warum ihn die lokale Mundart so fasziniert.

Gottesdienst derb und deftig

Natürlich gehe es bei seiner freien Übersetzung durchaus etwas derber und deftiger zu, als es das durchschnittliche Kirchenbesucherohr gewohnt sei: „Wenn man den heutigen Leuten einige Ausdrücke erzählt, dann lachen die den ganzen Tag!“ Auch Harwerth kann so manches Mal nur schwerlich ein Schmunzeln unterdrücken, denkt er während der Lesung im Gottesdienst an seine plattdeutsche Variante zurück.

"Die abendliche Übersetzung ist sozusagen mein Hobby geworden," erläutert der 84-jährige Rentner. Professionell zu übersetzen – das möchte er lieber der jüngeren Generation überlassen. Versucht hat es der ehemalige Lehrer trotzdem einmal. Vor einigen Jahren trat der Osnabrücker Monsignore Meyer an Harwerth heran, ein Neues Testament in Osnabrücker Platt zu schreiben. "Ein paar Abende hab ich mich dann tatsächlich an den Markus herangesetzt", erinnert er sich und seufzt laut hörbar, "Eine Heidenarbeit!" Nach einer halben Schreibmaschinenseite und 19 Tippfehlen dann die Resignation. "Im Plattdeutschen geht es ja auch mehr um das gesagte Wort," kommentiert Harwerth ironisch diesen kurzen Ausflug ins professionelle Metier.

Die Tücke bei der Niederschrift

Sein Respekt vor den Autoren plattdeutscher Werke ist dadurch nur gewachsen. Insbesondere Karl-Erwin Schade, der 2003 das Neue Testament in Holsteiner Platt herausgebracht hat, wird bei Harwerths eigenen Übersetzungen stets gern zur Hand genommen. "Wenn mir einmal die passenden Begriffe nicht einfallen."

Ein wenig schade findet es der "Bauernjunge aus Glandorf", wie sich Harwerth gerne selbst nennt, dass die Plattdeutsche Sprache langsam aber sicher aus den Köpfen der Menschen verschwinde. "Mit meiner Frau habe ich früher nur Plattdeutsch gesprochen", erinnert der 84-Jährige, der selbst erst auf der höheren Schule korrektes Hochdeutsch gelernt hat. Seine Tochter, mit der Harwerth das Haus an der Berliner Straße bewohnt, verstehe immerhin noch Platt. "Sprechen kann sie es allerdings auch nicht mehr," bedauert der Rentner und setzt nach kurzem Grübeln hinzu: "Eine Sprache muss doch gebraucht werden, sonst verschwindet sie."

Erschienen im: Kirchenbote am 29. Mai 2005 (PDF)