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J E N S     W I E S N E R
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F R E I E R     J O U R N A L I S T  & 

F O T O G R A F

BEHIND THE SCENES

Im Sommer 2008 bekam ich die Gelegenheit, über ein staatliches Stipendium drei Monate an der National Chengchi University in Taipeh zu verbringen und dort Chinesisch zu lernen.

Für die Münstersche Zeitung habe ich damals wöchentlich Tagebuch über die kleinen und großen Merkwürdigkeiten geschrieben. Vor kurzem habe ich die Texte auf meiner Festplatte wieder gefunden, ein wenig aufpoliert und werde sie jetzt peu a peu auf meiner Homepage veröffentlichen. Viel Spaß!

FRÜHERE FOLGEN

Folge I: Ankunft im Land des Betons

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 TAIWAN REVISITED

 

©Jens Wiesner

Taipei Times {Folge II} Filmdreh mit Sprachschluckauf

Prokrastination für Profis: Weil zuhause die Magisterarbeit wartete, bin ich lieber für drei Monate nach Taiwan geflogen, um dort Chinesisch zu lernen. Diesmal: Wie ich zum Laiendarsteller wurde und dabei einen taiwanischen Minister düpierte.

Hätte man mir gesteckt, dass ich wenige Tage nach meiner Landung auf Taiwan in einem Film mitspielen würde - ich hätte denjenigen für verrückt erklärt. Und doch sitze ich nun hier, mitten in einer dunklen Kellerbar irgendwo in Taipeh, auf meinem Kopf ein lächerlicher Fahrradhelm, und versuche verzweifelt, mir die drei chinesische Sätze einzutrichtern, die meine Rolle (mormonischer Priester auf Fahrrad) von mir erfordert. Doch so sehr sich alle Beteiligten auch mühen, mir die Vokabeln in Lautschrift nieder zu schreiben, so sehr sich meine europäische Zunge auch dreht und windet - was da meinen Mund verlässt, ähnelt eher dem Paarungsruf eines neubritannischen Bismarkhuhns, denn einem koheränten Satz.

Dabei wollte ich doch nur ein wenig Imagepflege für mein Heimatland betreiben. Dass Aina, die taiwanische Studentin, die mich nach meinem Sprachkurs um Hilfe für ihr "Uni-Projekt" gebeten hatte, ein echt heißer Feger war - geschenkt! Selbstredend würde ich aushelfen, versprach ich, ganz Gentlegerman, allerdings unter einer Bedingung: Am Abend müsste die Sache - ich dachte, es handele sich um eine Theaterrolle auf dem Campus - gelaufen sein. Schließlich hatte uns das taiwanische Ministry of Information (offensichtlich ein Fan der Werke Orwells und Finanzier meines Stipendiums) zum offiziellen Mehrgängedinner ins Grand Hotel geladen. Heißt übersetzt: Man wollte vor den Journalisten aus aller Welt so richtig auf die Kacke hauen.

Erste Zweifel hatten mich schon heute Mittag beschlichen. "Wir fahren zum Set", hatte Aina frohgemut verkündet, als sie mit Auto an unserem Treffpunkt vor der Uni vorgefahren war. Dort sollte ich auch erfahren, dass sich meine stumme Theaterrolle in eine winzige Sprechrolle für einen Film verwandelt hatte. Unterwegs lerne ich, dass Aina und ihre Kommilitonen Regie studieren - bei dem Uni-Projekt handelt es um ihre Abschlussarbeit. Der Kurzfilm handele von einer Frau in den Wechseljahren, die durch ein Wunder ihre Jugend neu erleben kann. Die Feuerzangenbowle, Taiwan-Style, denke ich. Für die Titelrolle habe man sogar eine berühmte Schauspielerin gewinnen können, verrät mir Aina. Mit dieser hätte ich auch meine kurze Szene. Ich schlucke. Als mich eben jene Grande Dame auf dem Set dann auch noch fragt, wie häufig ich schon in deutschen Filmen aufgetreten sei, schwant mir endgültig Böses. Aber an ein Zurück ist nicht mehr zu denken. Und bitte, in zwei Stunden Vorbereitungszeit drei chinesische Sätze auswending zu lernen und ein wenig vor der Kamera herumspringen, das wird doch wohl zu schaffen sein. Denke ich.

Sieht so ein mormonischer Priester aus? ©Jens Wiesner

"Cut!" ruft die Regisseurin - mittlerweile zum zwölften Mal. Verdammt, schon wieder den Text vergessen! "Duìbùqǐ, Duìbùqǐ", presse ich nervös durch meine Lippen - das chinesische Wort für Entschuldigung. Längst fließt der Schweiß in Strömen unter meinem Fahrradhelm hervor. Wie es darunter aussieht - und riecht - möchte ich mir gar nicht vorstellen. Okay, alles zurück auf Anfang. "Action!" Ich radele wieder los, zwei Meter, stoppe vor der frisch verjüngten Dame und sage hölzern meine drei Sätze auf. "Cut!". Wieder nichts. Irgendwann, nach dem gefühlten 77. Take, die Erlösung. "Hào!" beendet die Regisseurin mein Martyrium - und in den Gesichtern der anderen Schauspieler, sehe ich ehrliche Erleichterung, Mitgefühl und nur schwer unterdrückte Genervtheit aufblitzen. Ausnahmsweise bin ich dankbar für das chinesische - und taiwanesische - Mantra, unter allen Umständen das Gesicht zu wahren. Ganz gute Miene zum bösen Spiel dankt mir Aina überschwänglich für meine Hilfe - und lädt mich gar als Ehrengast zur Premiere ein.

Zum ersten Mal an diesem Tag entspanne ich mich etwas - bis mein Blick auf meine Armbanduhr fällt. Der Termin mit dem Minister! Verdammt! Aina hält Kriegsrat mit einem Freund, der mir schließlich bedeutet, mitzukommen. Auf seinem Scooter düsen wir im Affenzahn durch den Stadtverkehr. Manchmal kommen wir den parkenden Autos so nahe, dass ich meine Füße in die Luft werfen muss, um das Hindernis nicht zu streifen. Dann geht es auf die Stadtautobahn. Ängstlich klammere ich mich an meinem Chauffeur fest und wünsche mir sehnlichst den Fahrradhelm zurück.

Mit 40-minütiger Verspätung erreichen wir endlich die Zufahrt zum Grand Hotel. Nur meine völlig zerknüllte Einladung überzeugt den Wächter, die seltam verschwitzte und verrußte Gestalt einzulassen. Beim Minister entschuldige ich mich wortreich für Verspätung und Erscheinungsbild. Im Namen der deutsch-taiwanischen Freundschaft hätte ich an einem Filmdreh teilgenommen, der sich leider verspätete. Der Minister blickt verwirrt, nickt dann aber höflich und bedeutet mir, ihm zum Bankettsaal zu folgen. Zwischen dem vierten und dem fünften Gang beugt er sich plötzlich zu mir und fragt, wann der Film denn herauskomme. Er würde sich das Ergebnis liebend gerne ansehen. Ich verschlucke mich an einer Fischgräte.

PS: Einige Wochen später wurde ich tatsächlich zur Premiere eingeladen. Mit Genugtuung konnte ich feststellen, dass es meine Szene in den Film geschafft hat. Mit Untertiteln. Auf Chinesisch.


Das Grand Hotel in Taipeh - größere Kartenansicht

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