CAFE BABEL
©Anne-Françoise Brillot/Why Not Productions
"Adieu, Berthe": Letzte Ruhe in der Thermoskanne
Der französische Film "Adieu, Berthe" dreht gesellschaftlichen Konventionen im Angesicht des Todes die Nase. Endlich mal ein Film, der den richtigen Ton zum Thema trifft, findet Rezensent Jens Wiesner.
"Adieu Berthe - l’enterrement de mémé" (Adieu Berthe - Die Beerdigung von Oma) gehört zu den Filmen, die definitiv nachwirken. Schließlich thematisiert das neuste Werk von Bruno Podalydè einen Moment im Leben, der uns alle irgendwann unweigerlich erreichen wird und vor dem wir doch bis ganz zum Schluss die Augen verschließen: der Tod eines nahestehenden Familienmitglieds. Die Großmutter des Kleinstadtapothekers Armand (Denis Podalydès) ist gestorben – und nun gilt es, die Beerdigung der alten Dame zu organisieren.
Für eine Produktionsfirma ist der Tod, zumindest, wenn er ernsthaft behandelt wird, aber erst einmal eins: Kassengift. Wer ins Kino geht, den treibt auch eine gehörige Portion Eskapismus - und wer möchte schon an seine eigene Sterblichkeit erinnert werden oder zurückdenken an den Tod eines nahen Verwandten? Und so nutzen viele Filme über den Tod einen Kunstgriff, der sie für das Publikum verdaulicher macht. Man nimmt den Umweg über die Komödie. Und jedesmal, wenn ein Filmemacher versucht, große Trauer mir großen Lachern auszubalancieren, stellt irgendjemand die unweigerliche Frage: Ist das noch angemessen?
Haltung, Angemessenheit, Pietät und Würde im Angesicht des Todes zu bewahren, gilt in unserer Gesellschaft als essentiell. Die Erwartungshaltung, der Druck der Gesellschaft, wie man sich im Angesicht des Todes verhalten soll, ist enorm. Als Hinterbliebene muss die Maske besonders fest sitzen: Schwarze Kleidung ist nicht mehr vonnöten, aber eine Träne hier und da sollte schon sein. Und für den Verstorbenen natürlich nur das Beste. Vor allem dann, wenn man ihm im Leben nicht die Beachtung geschenkt hat, von der einem dieses garstige Gefühl im Magen plötzlich sagt, dass er sie verdient hätte.
Trauerberatung per Billighotline
"Adieu Berthe" zieht diese überspannte Erwartungshaltung, diesen Zwang zur Pietät, dorthin, wohin sie gehört: ins Lächerliche. Beim Edelbestatter wandern Armand und seine Geliebte Alix (Valérie Lemercier) verloren durch eine Ausstellung von Designersärgen, für die Hinterbliebenen stehen gebrandete Taschentücher ("Lacrimes") und Myrrheschnaps bereit. Ein würdiger Tod kostet. Aber auch die Billiganbieter im Six-Feet-Under-Segment bekommen ihr Fett weg: In bester Ryanair-Manier hat das Schnäppchen seinen Preis: Sprachprobleme, weil die Telefonberatung ins Ausland ausgelagert wurde. Umgebaute Thermoskannen als Urnen.
Aber es ist nur die wirtschaftliche Ausbeutung von Trauer und Schuldgefühlen, die auf die Mütze bekommt. Kein Protagonist wird für die Art, wie er mit dem Tod eines Menschen und seinen Schuldgefühlen umgeht, ins Lächerliche gezogen. Das menschliche Leben ist nun mal voller Widersprüche und Brüche. Es gibt sie nicht die eine, die richtige Haltung. Armand hat eine Geliebte, mit der er glücklich ist. Was nicht heißt, dass zwischen ihm und seiner Ehefrau alles vorbei ist. Der Sohn der Verstorbenen salutiert still mit einem Glas Alkohol in der Hand, während sein Sohn eine berührende Abschiedsrede hält. Und Berthe selbst sehnte sich zeitlebens nach ihrer ersten großen Liebe zurück – und gründete trotzdem eine Familie.
Widersprüche stehen in "Adieu Berthe" nebeneinander. Unauflösbar, schwierig auszuhalten. Es kann den Podalydès-Brüdern gar nicht hoch genug angerechnet werden, dass sie in den letzten Minuten nicht doch der Versuchung erliegen, alles auf ein Happy End hinauslaufen zu lassen. Adieu Berthe endet offen, offen wie das Leben. Denn definitiv ist nur der Tod.
Dieser Artikel ist als Teil meiner Berichterstattung vom Filmfest Hamburg am 2.10.2012 auf cafebabel.com erschienen.