GESCHICHTE
Skulpturen aus dem Parthenon im Britischen Museum ©Andrew Dunn/CC
Kulturschatz: Clooney, die Elgin Marbles und ein Hitlervergleich
Wenn sich ein Filmstar in einen 200 Jahre alten Kunstkrimi einmischt, wird der Ton schon einmal rauer. So rau, dass Londons Bürgermeister zur Hitler-Keule greift. Doch George Clooney weiß sich zu wehren.
Manchmal schreibt das Leben Geschichten, die spannender sind als jeder Kinofilm. Diese Geschichte hat bereits 200 Jahre auf dem Buckel - und schafft es noch immer, die Gemüter der Londoner zum Kochen zu bringen. Zwielichtige Archäologen spielen darin eine Rolle, eine von Menschenhand geköpfte Göttin – und seit kurzen auch Hollywood-Star George Clooney.
Lord Elgin ©Anton Graff/gemeinfrei
Eigentlich wollte der 52-Jährige nur die Werbetrommel für seinen neusten Streifen "Momument Men" rühren. Doch wer einen Film um Nazis und geraubte Kunstschätze dreht, muss damit rechnen, auch in Sachen Kunst befragt zu werden. So geschehen vor wenigen Tagen auf einer Pressekonferenz in Griechenland. Ein griechischer Reporter wollte von dem Schauspieler wissen, ob Teile des Athener Parthenons, die im Britischen Museum ausgestellt werden, nicht besser an ihren Ursprungsort zurückkehren sollten. Clooney bejahte - und trat damit in ein Wespennest. Denn eben jene Frage sorgt seit Beginn des 19. Jahrhunderts für heftigen Streit zwischen den britischen und griechischen Kulturbehörden.
Lord Elgin: Retter oder Räuber?
Alles begann im Jahr 1801, als Thomas Bruce, siebter Lord von Elgin und Botschafter des Britischen Empire im Osmanischen Reich, beim Sultan um Erlaubnis für archäologische Forschungen im Athener Parthenon bat. Das Zeitalter der Antike war wieder in Mode gekommen, gerade in vornehmen Kreisen herrschte ein wahrer Run auf alles, was mit den alten Griechen zu tun hatte. Und tatsächlich: Lord Elgin erhielt Zugang, interpretierte das Einverständnis des Sultans, Abdrücke zu nehmen und "einige Steine" aus der 2500 Jahre alten Tempelruine abtragen zu dürfen, allerdings sehr, sehr breit: Zwischen 1801 und 1812 ließ er knapp die Hälfte aller Marmorfriese und Marmorstatuen aus dem Stein schlagen und für seine Privatsammlung nach Großbritannien verschiffen - angeblich, weil er um die Sicherheit der Kunstschätze vor Ort fürchtete.
Dabei gingen Elgins Mannen alles andere als zimperlich vor: Der Kopf einer Göttinnenstatue wurde eingepackt, während ihr Körper an Ort und Stelle verblieb. Ein Fresko, das eine Prozession zeigte, teilte man in der Mitte durch. Die brachiale Aktion war selbst im heimatlichen England umstritten: Für die einen galt Elgin fortan als Retter wertvoller Kunstschätze, für die anderen war er nichts anderes als ein Kunsträuber und Plünderer. Was die britische Regierung nicht davon abhielt, dem in Geldnot geratenen Adeligen die geschichtsträchtigen Mitbringsel Jahre später abzukaufen.
Seit dieser Zeit sind die als Elgin oder Parthenon Marbles (engl. für Mamor) bekannten Bruchstücke im berühmten Britischen Museum zu sehen. Und seit ebenso langer Zeit bemühen sich die Griechen um die Rückgabe der ihrer Ansicht nach geraubten Kunstschätze.
Lapithe im Kampf mit Zentaur ©Adam Carr/CC
Lob aus Griechenland, Tadel von den Briten
Griechenlands Kulturminister Panos Panagiotopoulos jedenfalls nahm den Ball freudig auf. In einem zweiseitigen Brief an Clooney bedankte er sich im Namen aller Griechen für seine Unterstützung in dem komplizierten Fall. Das Britische Museum hingegen zeigte sich verschnupft über die Einmischung des US-Amerikaners und verwies auf die Aufgabe der Bildungsstätte, die Kulturgeschichte der gesamten Menschheit abbilden zu wollen. Wie sich Clooney wohl fühlen würde, wenn er nur in amerikanischen Filmen mitspielen könnte, die ausschließlich in Amerika gezeigt werden, ätzte es aus London.
Doch Clooney blieb bei seiner Meinung und erhielt prominente Schützenhilfe: "Es ist doch kein Argument zu sagen, nur weil wir Amerikaner wären, würden wir die Sache nicht kapieren", sprang ihm Schauspielkollege Matt Damon bei. Dass Clooney in der Debatte die Begriffe Pantheon und Parthenon mehrfach durcheinander wirbelte, sprach dagegen weniger für die fachliche Kompetenz des Schauspielers.
Der Bürgermeister und die Nazi-Keule
Londons Bürgermeister Boris Johnson war zu diesem Zeitpunkt längst die Hutschnur geplatzt. In der britischen Tageszeitung "Daily Telegraph" polterte der für seine cholerischen Ausbrüche bekannte Stadtobere zurück ("Someone urgently needs to restore George Clooney’s marbles") - und stellte den charmanten Mimen kurzerhand auf eine Stufe mit den Nazis. "Clooney befürwortet nicht weniger als Hitlers Agenda für Londons kulturelle Schätze", echauffierte sich Johnson. Göring selbst habe geplant, das Britische Museum zu plündern. "Und wohin wollten die Nazis die Elgin Marbles schicken? Nach Athen!"
Den Vergleich mit einem der größten Massenmörder der jüngeren Menscheitsgeschichte wollte Clooney nicht auf sich sitzen lassen. Nur einen Tag nach Johnson Ausbruch säuselte er, freundllich im Tonfall, deutlich in der Sache, zurück. "Ich glaube nicht, dass mein ehrenvoller Freund wirklich die Absicht gehabt hat mich mit Hitler zu vergleichen," sagte der Schauspieler am Sonntag laut britischem "Guardian". Er wolle die Geschichte als kleine Übertreibung Johnsons durchgehen lassen, an der "einige Whiskeys" wohl nicht ganz unschuldig gewesen seien. Was die echten Fakten angeht, solle der Bürgermeister das Reglement der Unesco studieren. Die Pantheon Marbles seien unter türkischer Besatzung abgeschlagen und verkauft worden, ein Denkmal in seine Einzelteile zerlegt. "Das ist, als würde man den Kopf von (Michelangelos) David nach England verkaufen, seinen Arm an den Vatikan und seinen Rumpf ans Metropolitan (Museum of Art in New York)."
Mehrheit der Briten will Marbles zurückgeben
Zudem habe sich der Großteil der britischen Bevölkerung mehrfach dafür ausgesprochen, die umstrittenen Exponate an die Griechen zurückzugeben. Großbritannien könnte eine Vorreiterrolle in Sachen Rückgabe von Beutekunst einnehmen - vielleicht würde der Rest nachziehen. "Das seien nunmal die Fakten", so Clooney. "Aber vielleicht ist es einfach leichter, mich mit Hitler zu vergleichen."
Nun liegt der Ball wieder im Feld von Boris Johnson. Dass aber ausgerechnet der laute Disput zwischen den beiden Berühmtheiten eine Lösung für den zwei Jahrhunderte schwelenden Konflikt bringt, scheint zweifelhaft. An ausreichendem Platz für die Elgin Marbles mangelt es in Athen jedenfalls nicht: Als das neue Akropolismuseum 2009 eröffnet wurde, baute man es bewusst größer - um irgendwann die fehlenden Stücke aus London aufzunehmen. Die Hoffnung, sie stirbt bekanntlich zuletzt.