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J E N S     W I E S N E R
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F R E I E R     J O U R N A L I S T  & 

F O T O G R A F

AUDIO-FEATURE

Mit Melissa in der Hiphop-Academy (Mp3)

 

VIER GRUNDPFEILER DER HIPHOP-KULTUR

Breakdance: Akrobatische Bewegungen als Tanz zu rhythmischer Musik. Wird auf dem Boden und im Stehen getanzt. Besondere Merkmale: Powermoves (Rotieren um ein Körperteil) und Freezes (Tänzer verharren wie eingefroren in einer möglichst imposanten Position)

Rap: Rhythmischer Sprechgesang. Wurde früher als MCing bezeichnet, weil Ende der sechziger Jahre  DJs, die in Clubs Platten auflegten, damit begannen, Musikstücke in Reimen zum Rhythmus der Musik anzusagen.

Grafitti: Bilder, Schriftzüge und Unterschriften, die auf freie Oberflächen, meistens Hauswände, gesprüht werden. Ein Graffiti-Writer zeichnet seine Werke mit einem Pseudonym ("Tag"), um möglichst bekannt in der Szene zu werden.

DJing: DJ's liefern an Turntables, also Plattenspielern, den Sound zu Breakdance und Rap. Der Plattenspieler selbst wird zum Musikinstrument, indem der DJ Beat- und Perkussions-Sequenzen (Breaks oder Bridges genannt) aus bekannten Musikstücken neu zusammenmischt. Beim Scratching (engl. Kratzen) wird der Ton der Musik bewusst verzerrt, indem die laufende Schallplatte bei aufgelegter Nadel hin- und her bewegt wird.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 STAFETTE

 

©Jens Wiesner

Hiphop Academy: Baggypants und Bundeskanzlerin

Um die komplizierten Bewegungen und Drehungen beim Breakdance zu meistern, ist hartes Training nötig.In Hamburg gibt es eine Schule, in der Jugendliche lernen, wie man auf dem Kopf tanzt und ein Schlagzeug allein mit dem Mund nachmacht. Neulich schaute sogar die Bundeskanzlerin vorbei.

Wenn Melissa die Tanzfläche betritt, scheinen die Gesetze der Schwerkraft außer Kraft gesetzt: So schnell fliegen ihre Arme und Beine dann durch die Luft, so schnell wirbelt sie auf ihrem Po im Kreis, dass einem alleine vom Zuschauen ganz schwindelig werden kann. Heute allerdings ist der Zwölfjährigen selbst ein wenig flau im Magen zumute - kein Wunder, wenn die Bundeskanzlerin höchstpersönlich auf einen Besuch vorbeischaut.

Eigentlich liegt Melissa nichts ferner als Lampenfieber. Auf der Bühne stehen, ihren Körper zum Takt der Musik zu bewegen - das ist ihre große Leidenschaft. Wer nun allerdings an Walzer, Foxtrott oder Tango denkt, liegt völlig daneben: Melissa ist überzeugte Hiphop -Anhängerin, am liebsten tanzt das Mädchen mit der braunen Lockenmähne Breakdance. So gut übrigens, dass sie seit über einem Jahr in der Meisterklasse der Hamburger HipHop Academy mitmachen darf. Eine besondere Ehre: Die meisten ihrer Trainingspartner sind fast schon erwachsen.

Seit 2007 gibt es die Hiphop Academy in Hamburger Stadtteil Billstedt - geboren aus der Idee, die Talente von Jugendlichen zu fördern. Dabei sind Breakdance-Kurse, wie sie Melissa regelmäßig besucht, nur ein kleiner Teil des Angebots. Schließlich geht es beim Hiphop um viel mehr als nur ums Rappen oder Tanzen. Axel Zielke, Projektkoordinator der Akademie, weiß es besser: "Wer Hiphop sagt, meint eine ganze Jugendkultur - die derzeit größte auf dieser Erde."

©Jens Wiesner

Ganz schön alt, diese Jugendkultur

Für eine Jugendkultur hat der Hiphop freilich schon einige Jährchen auf dem Buckel: Schon zu Beginn der 70er Jahre begann der US-Jamaikaner Kool DJ Herc, verschiedene "Beats" (dt. Rhythmen) von Funk-, Soul- oder Discostücken zusammen zu mischen. Andere kamen auf die Idee, Worte in diesen Rhythmus zu sprechen - die heutigen Rapper. Und schließlich tauchten in Hercs Publikum und auf den Straßen der amerikanischen Großstädte die ersten B-Boys auf: Tänzer, die sich auf den Boden fallen ließen und wie ein Brummkreisel auf Händen, Kopf und Rücken über die Tanzflächen wirbelten. Noch heute sprechen viele Hiphopper lieber vom B-Boying, wenn sie Breakdance meinen.

Vierzig Jahre nach seiner Entstehung hat der Hiphop noch immer mit einem leicht anrüchigen Ruf zu kämpfen. "Hose auf Halbmast, Sneakers an den Füßen - viele Menschen sehen einfach nur die Klischees" erklärt Zielke und seufzt. Auch die "Battles" (engl. Kampf), die Hiphopper untereinander ausfechten, würden von so manchem Menschen missverstanden. "Es geht eben nicht darum, den anderen fertig zu machen", stellt der Academy-Mitarbeiter klar. Ein "Battle" - das sei nichts anderes als ein faires Kräftemessen unter Gleichgesinnten. "Nadal und Federer hassen sich ja auch nicht, nur weil sie gegeneinander Tennis spielen."

Melissa sieht das ganz ähnlich. Ihre Trainingskollegen in der Masterclass sind dem Mädchen längst zur zweiten Familie geworden. Und nicht nur das: Im Breakdance hat Melissa ein praktisches Ventil gefunden, um gefühlsmäßigen Dampf abzulassen. "Egal in welcher Stimmung man ist, ob gut oder schlecht, man kann sie in den Tanz einfließen lassen". Denn fest vorgeschriebene Schrittfolgen oder unverrückbare Regeln - all das gibt es beim spontanen Breakdance nicht. Was in welcher Reihenfolge wie hintereinander getanzt wird, bleibt allein der Laune des Tänzers überlassen.

Steiniger Weg bis zur Masterclass

"Gerade diese Offenheit ist es, die den Hiphop ausmacht", erklärt Zielke. Längst haben neue Disziplinen die klassischen vier Grundpfeilern der Hiphop-Kultur (Breakdance, Rap, DJing und Grafitti) erweitert: Allen voran: das Beatboxen, bei dem elektronische Rhythmusinstrumente alleine mit Mund, Nase und Rachen nachgemacht werden.

Den einen, den "richtigen" Weg gebe es dabei nicht. So können Academy-Trainer wie Stok La Rock und Spax ihren Schützlingen zwar verschiedene Kniffe zeigen und eindrucksvolle Posen einüben. Letztendlich aber muss jeder Schüler seine eigene Ausdrucksform, seine ganz persönliche Stimme finden. Der Weg dorthin ist steinig: Wer einmal wie Melissa in der Masterclass tanzen und seine eigene Choreographie auf die Bühne bringen will, benötigt einen sportlichen Körper, viel Selbstdisziplin und die Ausdauer für ein jahrelanges Training.

Ob Bundeskanzlerin Angela Merkel das auch weiß? Als Melissa nach kurzer Tanzeinlage wieder die Bühne räumt, applaudiert die Kanzlerin lächelnd. Ein wenig verloren wirkt sie dennoch, die 56-jährige Dame mit ihrem beigen Blazer. Hiphop und Kanzleramt - diese beiden Welten sind eben doch noch meilenweit voneinander entfernt. Gut so.

geschrieben: Dezember 2010, veröffentlicht im Kindermagazin Stafette